Frühlingsputz bei Berner Strassennamen

2. Juni 2025

Vor kurzem stimmte das Berner Stadtparlament über eine Motion ab, die Strassennamen inklusiver machen will. Offen bleibt, ob es in Bern bald einen "Fischer*innenweg" geben wird.

Ein Strassenschild, welches auch schon bald ersetzt werden könnte.

Eigentlich ist es ja nur ein kleines Sternchen, welches die Alternative Linke Anfang Dezember 2024 im Berner Stadtparlament forderte. Umso grösser jedoch seine Aufgabe, denn es geht um nichts geringeres als dem „antiquierten patriarchalischen Dogmatismus“ den Garaus zu machen. Während dieser Vorstoss der Alternativen Linke nicht bei allen gut ankam, zum Beispiel der FDP-Stadträtin Ursula Stöckli, die sich nur fragen konnte, ob «Bern eigentlich keine grösseren Probleme» hätte, ist für die Alternative Linke, die den Vorstoss einreichte, klar: Sprache ist Macht, und gleichermassen angebracht muss damit umgegangen werden. Die Richtlinienmotion, die mit 43 zu 13 Stimmen von der linken Mehrheit des Stadtrates angenommen wurde, fordert, dass Strassennamen zukünftig inklusiver gestaltet werden. So könnte aus dem «Fischerweg» schon bald der «Fischer*innenweg» werden.

Die Amerikaner haben mal wieder recht

Das Phänomen, Dinge der Korrektheit halber zu umbenennen, kommt ursprünglich aus Amerika. Einem Land, welches eine Sprache spricht, welche kein grammatikalisches Geschlecht kennt. Deshalb fällt es dort nicht allzu schwer, diese Diskussion zu führen. Von dieser Bewegung aus dem selbsternannten Land der unendlichen Möglichkeiten inspiriert, versuchen nun auch «Liberals» die deutsche Sprache anzupassen, an etwas, für was sie gar nicht konzipiert wurde. Dies stösst mancherorts auf Widerstand vor allem vom rechten, bürgerlichen, konservativen Lager, welches darin eine Abweichung auf eine unorthodoxe, häretische Sprache sieht. Doch das Benennen von Strassen in einem politisch korrekten Ton ist der Stadt Bern nicht fremd. Im Jahre 2019 erfasste, nach 28 Jahren, erneut der Frauenstreik die Schweiz. Eine halbe Million Frauen und teils auch Männer gingen auf die Strasse, um zu fordern, was schon seit 38 Jahren von der Bundesverfassung versprochen wird: Gleichberechtigung. Ergriffen vom nationalen Frauenstreik, zeigten sich auch Frauen in Bern eifrig für ihre Rechte und reichten eine Motion bei der Stadt Bern ein, welche bei Neubenennungen von Strassen nur weibliche Strassennamen vorsieht, bis die Namensungleichheit geflickt ist. Unter diesen Frauen des gesamten politischen Spektrums war auch Regula Bühlmann, heutige Leiterin der bernischen Fachstelle für Gleichstellung in Geschlechterfragen sowie seit Juni 2024 Grossrätin im Kanton Bern für die Grüne Partei. Gerne erklärte sie sich bereit, uns als städtische Gleichstellungsbeauftragte ein Interview zu geben. Gleichstellungssensible Strassennamen sind nach wie vor ein Thema, das ihr am Herzen liegt. Sie äusserte sich auch zur Umbenennung von bestehenden Strassen: «Mit den den bestehenden Ressourcen kann man tendenziell mehr bewirken, wenn man sie für andere Gleichstellungsprojekte einsetzt als für die Umbenennung von Strassen, an deren Namen sich die Bewohner*innen gewöhnt haben», davon sei sie überzeugt. Bei neuen Strassen sei jedoch auf jeden Fall auf gendergerechte Namen zu achten. Auch die Stadtpräsidentin Marieke Kruit sowie der gesamte Gemeinderat stehen hinter dieser Meinung, wie Frau Kruit uns persönlich versicherte. Auch zeigt sich diese Philosophie bei der neuen Überbauung im Neufeld, wo alle Strassen nach Frauenikonen benannt wurden. Dies ist laut Stadträtin Ursula Stöckli zwar besser, als der ursprüngliche Vorstoss, aber «Personennamen auf Strassen ist immer noch so veraltet, wie Denkmäler aufzustellen.», was eigentlich verständlich ist. Man betreibt keinen Geschichts-Revisionismus, aber setzt die Praktiken von vor 100 Jahren auch nicht fort.

«Es ist wichtig zu zeigen, dass das, was abweicht von der gesellschaftlichen Norm, keine Bedrohung ist.»

Die Linke Alternative

Am 5. Dezember 2024 stimmte das Berner Stadtparlament, der Stadtrat wie er auch genannt wird, über eine Motion von Jemima Fischer ab. Sie wird vom Grossteil des Parlaments willkommen geheissen, doch sie hat es in sich. Wer in der Stadt seinen Blick auf die Strassenschilder wirft, dem wird auffallen: Es gibt bei Strassennamen eine klare Unterrepräsentation von Frauen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist komplett an der Benennung von Strassen vorbeigegangen. Dies sei nicht mehr zeitgemäss, sagt Jemima Fischer, die den Vorstoss eingereicht hat. Ihre Partei, die Alternative Linke, kurz AL, wurde 2010 gegründet und existierte bis 2018 auf Bundesebene. Ihr Ziel war es zunächst die Linke Basis zu stärken und besonders in der Westschweiz die zunehmende Zersplitterung der Linken zu verhindern. Als erste schweizerische Partei plädierte sie für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, setzte sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein und sah im Klimawandel eine direkte Konsequenz der kapitalistischen Handlungsweise der Schweiz. Im Jahr 2012 lancierte die Alternative Linke mit der Initiative zur Abschaffung der Pauschalsteuer ihre erste und letzte Volksinitiative. Doch auch in den kommenden Jahren verzeichnete die AL nur geringe Erfolge, weshalb sie 2018 schliesslich auf Bundesebene aufgelöst wurde und mittlerweile nur noch in Bern besteht.

Die rechten Gedanken

«Es gibt immer wieder Vorstösse im Stadtrat, bei denen ich mich fragen muss: Ist das jetzt wirklich ernst gemeint?» Mit diesen Worten begann FDP-Stadträtin Ursula Stöckli ihr Interview mit uns. Ein Interview über ein sehr modernes Thema in einem ehrwürdigen, uralten Gebäude: dem Käfigturm. Wo einst Personen gefangen gehalten wurden, werden heutzutage nur Gedanken festgehalten, damit man sie diskutieren kann. Im Vorstoss sieht sie kein Potential, es würde schlicht niemandem etwas bringen. Es ist zwar eine Tatsache, dass es weniger Frauen als Männer auf Strassenschildern gibt, ein Problem sieht sie darin allerdings nicht. Laut ihr ist die Motion vielmehr ein «oberflächlicher Anstrich ohne wirklichen Nutzen.»
Die Stadträtin scheint sehr enthusiastisch, als wir in unserem Gespräch auf das Thema Gleichberechtigung zusprechen kommen, wir seien damit bei ihr vollkommen an der richtigen Stelle. Obwohl es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, der Stadträtin ist Gleichberechtigung ein wichtiges Anliegen. 1993 schloss sie als erste Frau in Bern die Elektroabteilung am Abendtechnikum, der berufsbegleitenden Ingenieurschule ab und setzt sich noch heute für Frauen in MINT Berufen ein. In den Dokumenten des Abendtechnikums war dabei stets von «Studenten» die Rede. «Warum eigentlich nicht auch Studentinnen?» Daran störte Sie sich schon damals. Namen wie den «Buchdruckerweg» solle man aber lieber als historische Begebenheit ruhen lassen und den Blick nach vorne richten. Hinterher ist man schliesslich immer schlauer, entsprechend wenig Sinn macht es die Leute der Vergangenheit zu bewerten oder zu verurteilen. Die Vergangenheit ruhen lassen und den Blick in die Zukunft richten, lautet die Devise. Heute ist die Schweiz aber schon ein ganzes Stück weiter als damals. «Ich wurde früher auf dem Bau als Elektrozeichnerin schräg angeschaut, aber heute stehen den Mädchen Tür und Tor offen.» Auch ein ausgebautes Kitaangebot, welches es vor 40 Jahren noch nicht gab, sei ein grosser Fortschritt. Wir merken: So unterschiedlich die Auffassung von Gleichberechtigung ihrerseits sein mag, ihr Herz schlägt für dieses Thema.

Ist das Sternchen wirklich die Lösung?

Das Ziel des Genderns ist klar: Eine inklusivere Sprache, in der sich jeder Vertreten fühlt, sei es Mann, Frau oder Divers. Dabei wird das Generische Maskulinum als patriarchalisches und veraltetes Sprachelement gesehen. In der Politik ist jede Meinung von «Natürlich muss man das Wort ‘Gast’ gendern», bis hin zu, «Das bleibt alles so wie’s ist und da wird sich auch nichts dran rütteln!» vertreten. Grundgenug für die Linguisten Cordula Simon und Stefan Auer politisch korrekte Sprache mal wissenschaftlich zu untersuchen.  Auf die Frage ob Gendern nun notwendig ist oder nicht, haben sie eine klare Antwort. Dafür liessen die beiden keine Behauptung über die deutsche Sprache unüberprüft stehen. Sie stellen in ihrem Buch «Politische Korrektheit, Wunschdenken und Wissenschaft» klar, Genus und Sexus haben je ihre ganz eigene Rolle in der deutschen Sprache. Erst im Laufe der Zeit kam es, dass der Genus and das Sexus angepasst wurde, sprich, das Wort «Mann» ist grammatikalisch maskulin, weil ein der Genus dann mit dem Sexus übereinstimmt. Das Wort «das Mädchen» beispielsweise wartet aber vergeblich auf eine Anpassung. Hier kommen nämlich wieder die eigentlichen grammatikalischen Konventionen zum Zug und so ist ‘Mädchen’ nichts anderes als die Verniedlichungsform von ‘die Magd’. Und solche verniedlichungsformen sind nun mal immer Neutrum, genauso wie ‘die Gabel’ zu ‘das Gäbelchen’ wird. In ihrem Buch gehen die beiden Autoren aber vor allem auf die Fragen ein, ob es nun eine assoziative Bindung zwischen dem grammatikalischen Genus und dem natürlichen Sexus gebe. Die Enttäuschung und Frustration der beiden Autoren über das unwissenschaftliche Vorgehen der letzten Jahre zu diesem Thema, welches es erst nötig macht, sich über solche Dinge zu streiten, kommt dabei klar zum Ausdruck. Für sie gibt es keinen Zweifel, es gibt keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Genus und Sexus. Dass man laut gewissen Studien selbstverständlich beim Wort «der Schüler» an einen Jungen denken muss, da das Wort maskulin ist, ist auf fundamentale Fehler und Schwachstellen der Studien zurückzuführen. Einzig und allein würde in diesen Studien gezeigt, dass Menschen durch Konvention erlernen könnten, dass ein bestimmtes Genus sexistisch sei. Obwohl ihre Untersuchungen also zum Schluss kommen, dass zumindest aus wissenschaftlicher Perspektive den meisten Menschen der Genus schlicht egal ist und gendern nicht zwingend das Denken verändert, so klärt sie auch auf, dass so einige Argumente gegen das Gendern auf unwissenschaftlichen Behauptungen stützen.

Wer nach Sternchen sucht, sucht lange

Zusammenfassend kann man sagen, für Bern wird sich vermutlich nicht viel verändern, zu gross schätzt der Gemeinderat den Aufwand des Vorstosses. Sowieso scheint es den Verfassern der Motion entgangen zu sein, dass Strassennamen Angelegenheit der Exekutive, also des Gemeinderates sind und nicht des Stadtparlaments. Der Vorstoss ist folglich viel mehr als «Vorschlag zur Güte», und nicht als eine tatsächliche Forderung anzusehen.